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Die EN 301 549 – Das relevante Gesetz

Veröffentlicht am 1. März 2024
Autor*in: Tobias Roppelt
Was für dich ab 2025 gilt: Die EN 301549

Die europäische Norm 301 549 definiert die Standards, an die sich die private Wirtschaft ab Juni 2025 halten muss. Was darin steht und was sie mit der WCAG zu tun hat, das erfährst du hier.

Für alle Lesefaulen: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verpflichtet die private Wirtschaft dazu, die EN 301 549 umzusetzen. Die EN 301 549 verweist auf die WCAG (2.1). Webseiten und Onlineshops müssen im Prinzip nur die WCAG-Richtlinien (aus Kapitel 9 der EN) umsetzen. Wer komplexere Software oder Web-Apps entwickelt, muss sich noch an weitere Anforderungen der Norm halten.

Und jetzt alles noch ausführlich:

Was ist die EN 301 549?

„Die EN 301 549, mit dem Titel ‚Accessibility requirements for ICT products and services‘, ist eine europäische Norm für digitale Barrierefreiheit. Sie definiert Anforderungen an die Barrierefreiheit der Informations- und Kommunikationstechnik des öffentlichen Sektors und gilt als verbindlicher Standard.“

Barrierefreiheit-Dienstekonsoledierung vom Bund

Mit der Einführung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes werden die Anforderungen aus der Norm auch für die private Wirtschaft verpflichtend – ab 2025.

Die Aktion Mensch schreibt dazu:

„Ab Mitte 2025 gilt für Websites und Apps eine gesetzliche Pflicht zur Barrierefreiheit. Diese regelt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) setzt die EU-Richtlinie des European Accessibility Act (EAA) um, sodass europaweit einheitliche Regeln zur Barrierefreiheit gelten. Die Regelungen basieren auf der europäischen Norm 301 549, welche sich wiederum zum großen Teil an den internationalen Richtlinien für barrierefreie Webinhalte (WCAG) orientiert.“

Aktion Mensch – Wissen zur digitalen Barrierefreiheit

Wer es ganz genau nehmen will: Eigentlich verweist das BFSG nicht direkt auf die EN-Norm. Der Anwalt Tim Schröder schreibt dazu:

„Da das BFSG auf der EU-Richtlinie 2019/882 beruht und zu ihrer Umsetzung dient, bedeutet dies, dass Produkte und Dienstleistungen den Anforderungen des BFSG und der BFSGV entsprechen, wenn eine harmonisierte Norm existiert, die die Anforderungen der BFSGV ‚abdeckt‘, und wenn die Produkte und Dienstleistungen dieser Norm entsprechen. Das ist die sogenannte Konformitätsvermutung […].

Nun ist es so, dass bereits eine solche harmonisierte Norm existiert, die die Anforderungen an die Barrierefreiheit von IT-Produkten und IT-Diensten definiert, und zwar die Norm EN 301 549.“

Das heißt, dass das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz nicht direkt auf eine EN-Norm verweist. Die bestehende EN 301 549 ist allerdings die einzige existierende EN-Norm, die sinnvoll ist, um die Barrierefreiheit von Webseiten einschätzen zu können. Mehr dazu findet ihr in dem Artikel Siebenmal Barrierefreiheit von Tim Schröder.

Was ist dieses Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist im Prinzip die Umsetzung der europäischen Richtlinie 2019/822 (European Accessibility Act) in deutsches Recht. Dieses tritt am 28. Juni 2025 in Kraft.

Das Gesetz verpflichtet jetzt die deutschen Privatunternehmen zur digitalen Barrierefreiheit. Wie sie diese umsetzen sollen, das ist in der EN 301 549 geregelt.

Ausgenommen von der Pflicht sind übrigens Kleinstunternehmen. Als Kleinstunternehmen zählt ein Unternehmen, das weniger als 10 Mitarbeiter hat und weniger als 2 Millionen Euro Umsatz macht. Wer eine der beiden Grenzen überschreitet, ist kein Kleinstunternehmen mehr.

Wo finde ich die DIN EN 301 549?

Die Norm kannst du dir in deutscher Sprache auf der Seite der Überwachungsstelle des „Bundes für Barrierefreiheit in der Informationstechnik“ herunterladen. Du musst dich allerdings registrieren und angeben, warum du die Norm benötigst, um sie kostenlos zu erhalten. Zur Download-Seite der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit.

Screenshot der Seite der Bundesüberwachungsstelle der Barrierefreiheit. Die DIN EN Norm ist nur über den geschützten Bereich zu erreichen.

Was muss ich nach der EN 301 549 tun, um barrierefrei zu werden?

Das kommt darauf an, was für ein digitales Produkt du hast. Wenn du eine Webseite oder einen Onlineshop hast, ist meistens Kapitel 9 relevant.

Kapitel 9 hat folgende Inhalte und bezieht sich ausschließlich auf das Web:

  • 9 Web 
  • 9.0 Allgemeines (informativ) 
  • 9.1 Wahrnehmbar 
  • 9.1.1 Textalternativen
  • 9.1.2 Zeitbasierte Medien 
  • 9.1.3 Anpassbar 
  • 9.1.4 Unterscheidbar 
  • 9.2 Bedienbar 
  • 9.2.1 Tastaturbedienbar 
  • 9.2.2 Ausreichend Zeit
  • 9.2.3 Anfälle und körperliche Reaktionen 
  • 9.2.4 Navigierbar
  • 9.2.5 Eingabemodalitäten
  • 9.3 Verständlich
  • 9.3.1 Lesbar 
  • 9.3.2 Vorhersehbar 
  • 9.3.3 Eingabeunterstützung 
  • 9.4 Robust
  • 9.4.1 Kompatibel 
  • 9.5 WCAG 2.1 Stufe-AAA-Erfolgskriterien
  • 9.6 Konformitätsanforderungen der WCAG 

Wie du siehst, verweist die Norm auf die WCAG – aber darauf kommen wir im nächsten Teil zu sprechen.

Neben den Anforderungen aus Kapitel 9, kann es sein, dass noch weitere Teile der Norm auf dich zutreffen. Das ist aber meist nur der Fall, wenn du eine Software für den Desktop entwickelst. Allerdings gibt es ja heutzutage auch schon komplizierte Web-Apps, die komplett im Browser funktionieren – wie das Design-Tool, Figma oder Bildbearbeitungs-Programme wie Photoshop. Solch komplexe Software ist sehr wahrscheinlich von weiteren Teilen der Norm betroffen.

Weiter Kapitel der EN-Norm, die Software betreffen:

  • Allgemeine Anforderungen (Kapitel 5)
  • Anforderungen an Technologien mit Zwei-Wege-Sprachkommunikation (Kapitel 6)
  • Anforderungen an eingebundene Videoplayer (Kapitel 7)
  • Anforderungen bezüglich benutzerdefinierter Einstellungen und Autorenwerkzeuge (Kapitel 11)
  • Anforderungen an Dokumentation und Support (Kapitel 12)

Wer eine rechtlich ziemlich sichere und genaue Auflistung sucht, für welche Komponenten, welche Prüfschritte relevant sind, für den hat die Überwachungsstelle des Bundes etwas erstellt: die Handreichung für barrierefreie Gestaltung von User Interface-Elementen.

Diese Handreichung beschreibt für ganz viele User-Interface-Elemente, welche Kriterien der EN-Norm man umsetzen muss, um seine Komponenten barrierefrei zu bekommen. Du wirst dort auch feststellen, dass extrem viele „Checks“ auf das Kapitel 9.X verweisen und damit auf die WCAG-Kritieren zeigen.

Der Zusammenhang zwischen WCAG und der EN 301 549

Wenn ich barrierefrei sein will, muss ich mich nicht einfach an die WCAG halten?

So leicht ist das leider nicht! Wie schon gelernt, sind im Kapitel 9 der EN 301 549 die relevanten Richtlinien für Webseiten aufgeführt. Diese Richtlinien verweisen auf die WCAG und zwar genauer gesagt auf die WCAG 2.1. Für Webseiten oder Onlineshops ist es meistens ausreichend, sich an die WCAG-Richtlinien zu halten. Viele Punkte der Norm sind auf einer Webseite oder einem Onlineshop gar nicht anwendbar.

Was heißt das jetzt also für die private Wirtschaft?

Deine Website, (Web-)App, dein Onlineshop oder deine Software müssen ab dem 28.6.2025 die Anforderungen der EN 301 459 erfüllen.

Dein digitales Produkt muss also mindestens die Anforderungen der WCAG 2.1 erfüllen. Je nachdem, wie umfangreich dein digitales Produkt ist, musst du noch weitere Anforderungen erfüllen, zum Beispiel, wenn du Zwei-Wege-Sprachkommunikation (Videotelefonie) in deiner Software ermöglichst.

Ein Überblick über die ganzen Kriterien findest du auf der BIK-BITV-Seite: Zu den BIK-BITV-Test + WCAG 2.2 Prüfschritten.

Achtung: Wer haftet wofür?

Viele werden ihre Webseite nicht selbst barrierefrei machen. Die meisten Onlineshops oder große Webseiten sind auf Agenturen angewiesen, die ihre Webseiten bauen. Darum stellt sich die Frage: Wer ist schuld, wenn das schiefgeht?

Ein Manager sagt zu einem Agenturleiter: Du bist schuld!

Der Ersteller der Webseite ist für die Barrierefreiheit haftbar

Je nachdem, was in dem Vertrag mit Dienstleiter*innen vereinbart wurde, können diese für die Nicht-Einhaltung der EN 301 549 haftbar gemacht werden. Wenn eine Agentur versichert hat, dass sie eine Webseite konform der EN 301 549 erstellt, kann diese auch zur Rechenschaft gezogen werden.

Allerdings gibt es hier auch einige Punkte, die zu Streitfragen werden können. Um Oliver Haake-Klink zu zitieren:

„Die redaktionelle Arbeit kann man nicht zu 100 Prozent in der Hand behalten. Daher ist und bleibt der Betreiber der Website laut Impressum für den Zustand verantwortlich. Das ist mein rechtlicher Kenntnisstand!“

Oliver Haake-Klink, distriko GmbH & Co. KG

Betreiber*innen einer Webseite sind also nicht aus dem Schneider. Besonders, wenn eine Webseite weiter bearbeitet wird, sind sie für das Sicherstellen der Barrierefreiheit verantwortlich. Und auch für redaktionelle Inhalte, die nicht von der Agentur erstellt wurden, haften die Betreiber*innen selbst.

Einbindung der Software von Drittanbieter*innen.

Betreiber*innen sind für die Barrierefreiheit ihres Online-Auftritts selbst zuständig, unabhängig davon, ob sie eine Funktion selbst programmiert oder von einem Drittanbieter eingebunden haben.

Man sollte nach Drittanbieter*innen suchen, deren Produkte barrierefrei sind. Wenn es für einen spezifischen Bedarf keine solchen Anbieter*innen gibt, muss man die Probleme mit der Barrierefreiheit am besten in der „Erklärung zur Barrierefreiheit“ dokumentieren und auf die Website der Anbieter*innen verlinken.

Biete, wenn möglich, eine alternative, barrierefreie Version der Informationen an. Eine Kartenansicht könnte zum Beispiel auch über eine Liste von Adressen dargestellt werden.

Fazit und Merkliste zum BFSG und der EN 301 549

Ich hoffe, die Frage ist jetzt geklärt, woran sich private Firmen in Zukunft halten müssen und welche Regeln und Standards für dich relevant sind. Wer eine normale Webseite betreibt, für den sind viele Richtlinien der EN 301 549 gar nicht anwendbar. Für die meisten ist es also hauptsächlich wichtig, sich an die Kriterien der WCAG zu halten. Welche das sind, haben wir dir hier in einer leicht verständlichen Übersicht zusammengefasst: Zu den WCAG-Kriterien.

Hier noch eine kleine Merkliste zum Abschluss:

  1. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz betrifft nur Verbraucher-Verträge
  2. Ausnahmen gelten für Kleinstunternehmen (unter 10 Mitarbeitern und unter 2 Millionen Umsatz)
  3. Nur digitaler Geschäftsverkehr ist betroffen (dazu zählen auch Reservierungs- und Buchungstools)
  4. Die gelten Anforderungen stehen in der EN 301 549 (WCAG 2.1 + ein bisschen mehr)
Die Merkliste zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und der digitalen Barrierfreiheit als Bild.

Häufige Fragen zum Thema

Tobias Roppelt lacht in die Kamera.

Über Tobias Roppelt

Hi, Ich bin Tobias, der Gründer und Geschäftsführer der Gehirngerecht Digital GmbH. Unser Mission ist es, das Internet barrierefrei und damit zugänglich für alle zu machen! Auf dieser Mission suchen wir immer Partner und Unterstützer. Wenn du Interesse hast, mit uns zusammenzuarbeiten oder selbst hier einen Blog-Eintrag zu veröffentlichen, melde dich jederzeit bei uns!

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