Ein barrierearmer Bewerbungsprozess fängt mit einer barrierefreien Kontaktmöglichkeit an. Damit ist nicht nur technische Barrierefreiheit gemeint, sondern eine inklusive Struktur, die Bewerber*innen die Möglichkeit auf Mitsprache gibt. Zum Beispiel kann verwendete Technik, unbedachte Auswahl von Komponenten oder Eingabevorgaben Bewerber*innen aktiv daran hindern, sich bei dir zu melden. Das ist problematisch, wenn du Diversität und Inklusion anstreben möchtest.
Funktionale Barrierefreiheit
Stelle die funktionale Barrierefreiheit deines Formulars sicher. Wenn du qualifizierte Bewerber*innen nicht von vornherein ausschließen möchtest, sollten deine Formulare von allen bedient werden können. Dafür musst du sie technisch barrierefrei zur Verfügung stellen.
Das kannst du erreichen, indem deine Formulare die Kriterien der WCAG erfüllen. Die WCAG ist der internationale Standard, den Webseiten in Bezug auf Barrierefreiheit erreichen sollten. Unter anderem gehört dazu eine korrekte Code-Struktur, aber auch eine barrierearme Gestaltung. Mehr über das Thema kannst du in unserem Artikel barrierefreies Kontaktformular erfahren.
Wir verwenden für unsere Formulare in WordPress gerne das Plug-in von WS Forms. Damit lassen sich barrierefreie Kontaktformulare erstellen. Wenn du im Bereich digitale Barrierefreiheit neu bist, schau dir dazu gerne unsere aufbereiteten WCAG Kriterien an. Dort kannst du mehr darüber erfahren, worauf du in puncto digitale Barrierefreiheit achten musst.
Inhaltliche Barrierefreiheit
Grundsätzlich solltest du hinterfragen, welche Informationen du im Erstkontakt wirklich von deinen Bewerber*innen benötigst. Viele Bewerbungsprozesse funktionieren in den ersten Schritten dabei heutzutage oft rein digital via E-Mail, Formular, Videokonferenztool und/oder ein erstes Telefongespräch.
Details wie Adressen sind hier eine Nebensache und führen im schlimmsten Fall dazu, dass sich Leute nicht bei dir bewerben können, weil die Validierung gültige Adressen nicht akzeptiert (z.B. Hausnummer 0).
Im Idealfall überlässt du es den Bewerber*innen zu entscheiden, wie der Erstkontakt stattfinden soll. Für dich macht es gegebenenfalls keinen großen Unterschied, ob der Erstkontakt oder Terminabsprachen per Telefon, Videotelefonie oder E-Mail stattfinden. Für andere können hier erste Barrieren entstehen (z.B. bei der Angst vor Telefongesprächen).
Sei transparent, wenn es um den Bewerbungsprozess geht. Nur, wenn du deinem Gegenüber von den Prozessen erzählst, können sich hier Barrieren offenbaren, an die du und dein Unternehmen noch gar nicht gedacht habt.
Du kannst dir deshalb den ganzen Prozess leichter machen, wenn du Bewerber*innen die Möglichkeit gibst von vornherein mitzuteilen, was sie benötigen, um sich bestmöglich bei dir zu bewerben und zukünftig auch zu arbeiten.
Die Genderfrage
Ein wichtiger Aspekt bei der Gestaltung inklusiver Formulare ist dabei auch die Berücksichtigung der geschlechtlichen Vielfalt der Menschen, die das Formular zukünftig ausfüllen.
Wir kennen das Geschlecht von anderen Menschen nicht, bevor wir danach fragen. Anhand von Vorname(n), Aussehen, Pronomen oder anderen Angaben lassen sich keine Rückschlüsse ziehen, sondern nur Annahmen, die falsch sein können.
Ein Formular, das beispielsweise von binären Angaben ausgeht, berücksichtigt unter Umständen keine geschlechtliche Vielfalt und sind nicht inklusiv.
Die Frage ist also: Welche Informationen ist für einen Bewerbungsprozess wirklich von Bedeutung, wichtig und entscheidend?
Die Anrede
Über ausgefüllte Formulare wird oft eine E-Mail generiert, entweder automatisch oder auch persönlich verfasst, um Bewerber*innen persönlich anzuschreiben.
Die Lösung im Formular
- Wenn die Anrede eine Pflichtangabe ist: Herr / Frau / Keine Anrede / Freifeld für eigene Angabe
- Die Anrede als Pflichtangabe überdenken – sie ist in keinem Fall mehr notwendig, um mit und über Menschen zu sprechen. Auch ist es nicht für Briefumschläge und andere Postetiketten wichtig, die Anrede zu kennen/zu notieren.
- Keine Geschlechtseinträge zur Anrede machen: Divers ist genauso keine Anrede wie Weiblich oder Männlich oder Kein Eintrag.
- Anredefeld aus Formular entfernen oder optional möglich machen. Siehe 1. für die richtigen Auswahlmöglichkeiten
Die Lösung in der E-Mail-Anrede
- Herr: Sehr geehrter Herr (Vorname) Zuname – Frau: Sehr geehrte Frau (Vorname) Zuname – Keine Angabe: Sehr geehrte*r Vorname Zuname
- Wenn Angaben nicht bekannt sind (im Bewerbungsprozess sicherlich eher selten der Fall), ausweichen auf genderneutrale Formulierung wie Guten Tag, Hallo, Moin oder auch andere regionale neutrale Formulierungen
- Protipp für allgemeine Formulierungen auch außerhalb von Bewerbungsprozessen: Sehr geehrtes Team der Behörde xy, Sehr geehrte Verantwortliche, Liebe*r Vorname, Verehrte Mitarbeitende usw.
Über Bewerber*innen sprechen
Über die Anrede hinaus, also welche Informationen gesammelt werden in Formularen und der Verwendung eben jener für die direkte Ansprache, geht es in einer Gestaltung inklusiver Formulare auch darum, wie zum Beispiel Personalverantwortliche ÜBER Bewerber*innen sprechen, also die persönlichen Pronomen einer Person, die ebenfalls selbstbestimmt jede Person für sich definiert und nicht von außen bestimmt werden sollte.
Die Lösung im Formular
Abfrage der Pronomen bei Bewerbungen, z.B. durch Dropdown-Auswahl: sie/ihr, er/sein, hen/hen, dey/denen und weitere von nibi.space zur Auswahl stellen plus Freifeld für eigene Pronomen zur Verfügung stellen.
Die Lösung in der E-Mail
Eigene Pronomen in der Signatur angeben, damit auch die bewerbende Person informiert ist über die Pronomen des Gegenübers im Bewerbungsprozesses
Die Lösung in der Aussprache
- Pronomen üben, üben, üben, wenn sie nicht bekannt sind
- Umschreiben, wenn ungewohnte Pronomen schwerfallen zu verwenden, Vorname(n) vewenden oder Pronomen unbekannt sind, zum Beispiel durch: Die Person, die…, Der Account, der…, Vorname(n) hat…
Unbedingt ist wichtig zu hinterfragen, welche weiteren Informationen es für Bewerbungsprozesse einer Person benötigt. Aus inklusiven und auch datenschutzrechtlichen Gründen. Was es an Informationen nicht braucht in der direkten Kommunikation mit den Bewerbenden, kann weggelassen und barrierefreier für alle gestaltet werden.
Zusatzinformationen
Wer in beruflichen Kontexten, wie zum Beispiel Umfragen, Events und Veranstaltungen mehr über die Teilnehmenden erfahren will, sollte auch unbedingt erst hinterfragen, wozu sehr persönliche Informationen zu geschlechtlicher und auch sexueller Vielfalt notwendig sind.
Für Quoten und Diversitätsauswertungen, also gewisse Datengrundlagen, braucht es vorher die Überlegung:
Welche (internen) Ziele sollen erreicht werden mit welcher Frage?
Dabei gilt immer:
- Geschlecht ist nicht gleich Geschlechtseintrag, ist nicht gleich sexuelle Orientierung, ist nicht gleich Pronomen.
- Geschlecht kann vielfältig sein, so braucht es da also immer eine Mehrfachauswahl: eine Person kann bspw. trans männlich sein, cis und inter, agender und nicht-binär.
- Auch die sexuelle Vielfalt ist nicht für jede Person mit einer Auswahl abbildbar: So können Menschen bi- und pansexuell sein, asexuell und bisexuell usw.
Wer in gesundheitlichen Kontexten persönliche Daten abfragt (zum Beispiel durch Anamnese-Bögen), sollte ebenfalls die Fragen inklusiv gestalten und sachbezogen und nicht geschlechtsbezogen formulieren.
Beispiele:
- Haben Sie einen Uterus?
- Sind Sie schwanger?
- Stillen Sie?
Fazit
Welche Informationen eines digitalen Fragebogens – sei es für Bewerbungen, Umfragen, Teilnahmeformulare u.ä., sind wirklich notwendig und wem nützen sie?
Diese Frage ist grundlegend zu beantworten bei dem Design für genderinklusive Fragebögen, denn es braucht sehr oft in der gemeinsamen Kommunikation keine Angabe zum Geschlecht, das nur selbstbestimmt definiert werden kann.
Wer Geschlecht, Anrede und Pronomen vermutet und nicht persönlich abfragt, kann falsch liegen und betroffene Personen damit verletzen und im schlimmsten Fall auch aus Bewerbungsprozessen exkludieren.