Gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für mich?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gilt für verschiedene Produkte und Dienstleistungen aus dem B2C-Bereich. Je nachdem, ob du ein Produkt oder eine Dienstleistung prüfen möchtest, gibt es dafür im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) jeweils eine Liste.
Dort kannst du einfach nachlesen, ob das Gesetz für dich relevant ist. Produkte stehen in Paragraf 1, Absatz 2 des BFSG, Dienstleistungen in Paragraf 1, Absatz 3 des BFSG.
Sollte dein Produkt oder deine Dienstleistung nicht unter das BFSG fallen, gibt es dennoch zahlreiche gute Gründe, warum du dein Angebot digital barrierefrei machen solltest. Hier kannst du mehr über den Business Case digitale Barrierefreiheit lesen.
Was bedeutete es für mich, digital barrierefrei werden zu müssen?
Was du im Hinblick auf digitale Barrierefreiheit leisten musst, steht in der europäischen Norm 301 549. Wir haben in unserem Artikel zur EN 301 549 zusammengefasst, was das für dich bedeutet.
Digitale Barrierefreiheit für Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr
Uns interessieren in diesem Artikel Websites, Apps, Onlineshops und andere digitale Services, die folgende Beschreibung erfüllen:
Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr
Paragraf 1, Absatz 3, Nummer 5 im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
In Paragraf 2, Nummer 26, können wir nachlesen, was damit gemeint ist: Alle Dienstleistungen, die online angeboten und elektronisch erbracht werden, um auf individuelle Nachfrage zu dem Abschluss eines Verbrauchervertrages zu führen.
Kurz gesagt: Wo online von Verbrauchern gekauft werden kann, müssen Webseiten digital barrierefrei werden. Jeder Onlineshop im B2C-Bereich muss zukünftig also barrierefrei werden.
Das BFSG gilt aber nicht nur für Webseiten, die online direkt Produkte verkaufen. Auch Webseiten, die eine Terminbuchung ermöglichen, wie Friseure oder Restaurants, müssen digital barrierefrei werden, da die Buchung zum Abschluss eines Verbrauchervertrages führen kann.
War das schon alles? Nein! In Paragraf 19 der BFSGV werden noch zusätzliche Anforderungen an Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr gestellt:
- Informieren: Du musst über die Barrierefreiheit der Produkte oder Dienstleistungen, die du verkaufst, informieren, sofern der verantwortliche Wirtschaftsakteur diese Information bereitstellt.
- Identifizierungs-, Authentifizierungs-, Sicherheits- und Zahlungsfunktionen müssen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein, wenn sie für angebotene Dienstleistungen verwendet werden.
- Identifizierungsmethoden, Authentifizierungsmethoden, elektronische Signaturen und Zahlungsdienste müssen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein.
Wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust?
Das sind die vier Säulen der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Die WCAG ist der internationale Standard, wenn es um digitale Barrierefreiheit geht. Daran kommst du nicht vorbei, wenn du deine Inhalte digital barrierefrei machen möchtest.
Für einen einfachen Einstieg in die WCAG schaust du dir am besten unsere Zusammenfassung der WCAG-Kriterien an.
Bis wann muss ich nach dem Gesetz digital barrierefrei werden?
Gemäß dem Gesetz müssen Webseiten, Onlineshops und Apps ab dem 28. Juni 2025 barrierefrei sein. In diesem Rahmen wurde eine Übergangsfrist für bestehende Produkte bis 2030 genannt. Hier gab es in der Vergangenheit viel Raum zur Interpretation, diese Lücke wurde inzwischen geschlossen.
Es gibt eine Übergangszeit von fünf Jahren für bereits bestehende Produkte. Die Übergangsfrist zählt nicht für Websites und Apps, da sie nicht unter den Begriff Produkte fallen.
Die Ausnahmen des Gesetzes
Das Ziel des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes ist gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen. Keiner will, dass Unternehmen über ihre Möglichkeiten belastet werden. Darum gibt es Ausnahmen von dem Gesetz.
Ausnahme für Kleinstunternehmen
Die Ausnahmeregelung des Gesetzes besagt, dass Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen anbieten oder einen Onlineshop betreiben, nicht dazu verpflichtet sind, ihren Online-Auftritt barrierefrei zu gestalten.
Du fällst unter diese Ausnahme, wenn du ein Unternehmen bist, dass …
Weniger als 10 Personen beschäftigt und höchstens einen Jahresumsatz von 2 Millionen € macht oder die Jahresbilanzsumme höchstens 2 Millionen € ist.
Paragraf 2, Nummer 17
Wenn dein Unternehmen jedoch 10 oder mehr Mitarbeiter hat oder den Jahresumsatz bzw. die Jahresbilanzsumme überschreitet, musst du dein digitales Angebot barrierefrei machen.
Für die Herstellung von vom BFSG erfassten Produkten gibt es keine Ausnahmeregelung für Kleinstunternehmen. Auch wenn der Hersteller sehr klein ist, müssen die relevanten Produkte barrierefrei sein.
Zu große Belastungen durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Wenn du überzeugt bist, dass die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen für dein Unternehmen eine unverhältnismäßige Belastung darstellt, kannst du eine Ausnahme beantragen.
Hierfür musst du dich an die zuständige Marktüberwachungsbehörde wenden und den Antrag auf Ausnahme stellen. Es ist allerdings wichtig zu beachten, dass eine Ausnahme nur in seltenen Fällen gewährt wird und eine hohe Hürde darstellt.
Die zuständige Behörde wird deinen Antrag sorgfältig prüfen, um sicherzustellen, dass die Barrierefreiheit nicht aus bloßer Bequemlichkeit vernachlässigt wird.
Was bedeutet digitale Barrierefreiheit für meine Produkte und Dienstleistungen?
Für Software öffentlicher Stellen gibt es bereits das Dokument EN 301 549. Dort steht unter anderem, was Webseiten erfüllen müssen, um als barrierefrei zu gelten. Es wird davon ausgegangen, dass diese Richtlinie auch für die Privatwirtschaft maßgeblich sein wird. Die EN-Norm verweist wiederum auf die WCAG.
Für Neueinsteiger*innen der digitalen Barrierefreiheit haben wir in diesem Artikel zusammengefasst, wie du am besten mit barrierefreiem Webdesign loslegen kannst.
Bußgelder und Rechtsrisiken für die Nichteinhaltung digitaler Barrierefreiheit
Wenn Unternehmen gegen das Gesetz verstoßen, können Marktüberwachungsbehörden Geldstrafen verhängen, die bis zu 100.000 € betragen können.
Es gibt vier Wege, auf denen Unternehmen belangt werden können, wenn sie das Gesetz zur Barrierefreiheit nicht einhalten.
1. Unlauterer Wettbewerb
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist Teil des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb. Es besagt, dass Unternehmen fair gegenüber Verbrauchern agieren und bestimmte öffentlich-rechtliche Pflichten erfüllen müssen, um Verbraucher zu schützen.
Wenn Unternehmen diese Pflichten nicht erfüllen oder keine Ausnahmen greifen, können Verbraucherschutzorganisationen und andere Unternehmen rechtliche Schritte unternehmen. Insbesondere Mitbewerber können so dazu gebracht werden, fair zu agieren.
2. Gewährleistungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches
Bei Produkten, die die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes nicht erfüllen, hat der Kunde das Recht, das Produkt zurückzugeben oder den Preis zu reduzieren, da es ein Problem mit dem Produkt gibt, das normalerweise nicht repariert werden kann. Zum Beispiel, wenn ein Mensch mit Behinderung das Produkt überhaupt nicht nutzen kann.
3. Verstoß gegen Informationspflichten
Wenn man einen Vertrag abschließt, muss man auf die Rechte, Interessen und Güter des anderen Vertragspartners achten. Das gilt auch, wenn man noch dabei ist, den Vertrag abzuschließen.
Wie sehr man darauf achten muss, hängt vom Vertrag ab. Wenn man zum Beispiel von der Fachkunde des anderen Vertragspartners abhängig ist, muss man besonders aufpassen.
Menschen mit Behinderungen müssen hier natürlich auch berücksichtigt werden. Das bedeute, dass man zum Beispiel darauf achtet, dass sie keine Barrieren haben, um an Informationen zu kommen.
Wenn es keine Barrierefreiheit gibt und der Verbraucher dadurch einen Fehler macht (z.B. eine falsche Reise bucht oder die falsche Menge von Produkten kauft), dann kann er dafür Schadensersatz verlangen.
4. Klagemöglichkeiten für Verbraucher und Verbände
Wenn Menschen mit Behinderungen Verstöße gegen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bemerken, können sie die zuständige Behörde bitten, diese Verstöße zu beseitigen. Wenn die Behörde den Antrag ablehnt, können die betroffenen Personen dagegen vor Gericht klagen oder bestimmte Verbände damit beauftragen, ihre Rechte wahrzunehmen.
Es gibt auch weitere Möglichkeiten für Klagen auf Unterlassung und Beseitigung von Verstößen gegen Verbraucherschutzgesetze. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist ein solches Gesetz und zielt darauf ab, die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen für Verbraucher und Nutzer zu gewährleisten.
Das Unterlassungsklagengesetz wird bald durch das Verbandsklagengesetz abgelöst, um die Klagemöglichkeiten für Verbände zu erweitern und zu vereinfachen, die im Interesse von Verbrauchern handeln.
Die Legalitätspflicht
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist ein Gesetz, was bedeutet, dass es von Unternehmen eingehalten werden muss. Wie unser Anwalt sagt: Du suchst dir auch nicht aus, an welcher roten Ampel du halten willst!
Sowohl Einzelunternehmer als auch Geschäftsführungen von Kapitalgesellschaften sind dafür verantwortlich, dass ihre Angebote barrierefrei zugänglich sind. Wenn sie das nicht tun, können sie zur Rechenschaft gezogen werden.
Viele größere Unternehmen haben bereits sogenannte Compliance-Management-Systeme eingeführt. Diese Systeme erfassen alle gesetzlichen Pflichten und legen klare Verantwortlichkeiten fest. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wird auch Teil dieser Systeme sein.
Fazit
Es ist wichtig zu beachten, dass die Einhaltung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes keine einmalige Angelegenheit ist. Es muss kontinuierlich dafür gesorgt werden, dass die Webseite oder App barrierefrei bleibt. Das betrifft nicht nur den technischen Teil, sondern auch den Inhalt der Seite. Das bedeutet, dass digitale Barrierefreiheit in deine Prozesse integriert werden und Teil deiner Definition of Done werden muss. Nur so können wir sicherstellen, dass jeder Mensch Zugang zu unseren Angeboten hat.