In Deutschland denken die meisten Menschen bei Barrierefreiheit immer noch an abgesenkte Bordsteine, Rollstühle oder Blindenhunde. Kein Wunder also, dass immer noch angenommen wird, wir bräuchten barrierefreie PDFs, damit Screenreader Blinden etwas vorlesen können. Dabei ist es gerade das PDF-Format, das blinden Menschen viel Frust bereiten kann. Zumindest dann, wenn es sich um ein nicht „getaggtes PDF“ handelt. Warum das so ist und warum barrierefreie PDFs keineswegs nur für eine bestimmte Personengruppe gedacht sind: Darum geht es in meinem Gastbeitrag. Denn ich behaupte, dass ein gut strukturiertes, interaktives, lesefreundliches und barrierefreies PDF nicht nur für bestimmte Personengruppen von Vorteil ist, sondern eigentlich für uns alle.
Die ursprüngliche Funktion von PDF
PDF (Portable Document File) ist zweifellos eines der am weitesten verbreiteten Formate für den Austausch und die Darstellung von Dokumenten in der digitalen Welt. Ursprünglich wurde PDF entwickelt, um eine layoutgetreue Vorschau von Druckvorlagen zu ermöglichen und den plattformübergreifenden Austausch von Dokumenten zu erleichtern.
PDF war also von Anfang an dazu gedacht, Dokumente so darzustellen, wie sie später gedruckt werden. Diese ursprüngliche Funktion war besonders für die Druckindustrie nützlich, da sie eine konsistente Darstellung auf verschiedenen Computern und Betriebssystemen gewährleistete.
Allerdings war PDF in seiner ursprünglichen Form nicht auf die Bedürfnisse von Menschen mit verschiedenen Arten von Behinderungen ausgelegt und war nicht barrierefrei. Im Laufe der Zeit wurden jedoch neue Funktionen und Technologien entwickelt, um PDF für alle zugänglich zu machen.
PDFs und Blinde: Eine problematische Beziehung
Für blinde Menschen ist das Arbeiten mit PDF-Dateien oft frustrierend und unpraktisch. Dies liegt oft daran, dass viele PDFs im Internet nicht zugänglich gestaltet sind. Hier sind einige typische Barrieren, die es blinden Nutzerinnen und Nutzern erschweren, auf die Inhalte eines PDFs zuzugreifen:
- Das Acrobat Reader Dilemma: Der Acrobat Reader, den die meisten Leute zum Öffnen von PDFs nutzen, ist kompliziert und verbraucht viel Rechenleistung. Mit jeder neuen Version wurden mehr Funktionen hinzugefügt, die für blinde Nutzer nicht immer hilfreich sind. Zum Beispiel kann es vorkommen, dass ein deutsches Dokument plötzlich mit einem englischen Akzent vorgelesen wird. Die Sprachausgabe des Acrobat Readers ist nicht auf die Bedürfnisse von Screenreadern für Blinde ausgelegt.
- Der Kopierschutz in PDFs: Viele blinde Menschen müssen PDFs in einfache Textdokumente konvertieren, um sie besser nutzen zu können. Dies kann jedoch schwierig sein, insbesondere wenn das PDF aus gescannten Bildern besteht oder Sicherheitseinstellungen das Markieren und Kopieren von Text blockieren.
- Unzuverlässige Accessibility-Tools im Acrobat Reader: Obwohl der Acrobat Reader Werkzeuge zur Verbesserung der Zugänglichkeit bietet, funktionieren diese nicht immer reibungslos, insbesondere bei komplexen Dokumenten. Die Verwendung dieser Tools kann dazu führen, dass der Screenreader nicht ordnungsgemäß funktioniert und das Öffnen des Dokuments mehr Zeit in Anspruch nimmt.
- Wiederholte Konvertierung: Da der Acrobat Reader nicht dafür entwickelt wurde, Änderungen zu speichern, muss die Konvertierung in ein offenes, barrierefreies Format jedes Mal erneut durchgeführt werden, wenn das PDF-Dokument geöffnet wird. Dies kann frustrierend sein und zu wiederholten Arbeitsabläufen führen.
PDF und die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit Einschränkungen
PDF ist ein Dateiformat, das sich nicht dynamisch an die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen anpassen kann. Das bedeutet, dass es schwierig ist, alle Anforderungen für Barrierefreiheit in einem PDF umzusetzen. Dabei haben nicht nur blinde Menschen spezielle Anforderungen an die Barrierefreiheit von PDFs. Es gibt verschiedene Personengruppen mit unterschiedlichen permanenten, temporären oder episodischen Einschränkungen, die ebenfalls spezielle Zugangsmöglichkeiten benötigen:
- Menschen mit Sehbehinderungen benötigen oft einen höheren Kontrast und eine Bildschirmlupe, um die Inhalte auf dem Bildschirm besser erkennen zu können.
- Analphabeten benötigen entweder eine Sprachausgabe, die ihnen den Text vorliest, oder eine rein visuelle Darstellung ohne Text.
- Menschen mit motorischen Einschränkungen navigieren oft mit der Tastatur anstelle der Maus.
- Kognitiv eingeschränkte Menschen benötigen einfache und verständliche Inhalte.
- Menschen mit Dyslexie profitieren von speziellen Schriftarten, die Buchstaben klar voneinander abgrenzen.
- Gehörlose Menschen verwenden die Gebärdensprache als ihre primäre Kommunikationsform und benötigen daher speziell gestaltete Inhalte. Es ist eine komplexe Herausforderung, alle diese verschiedenen Bedürfnisse in einem PDF zu berücksichtigen, da das Format von Natur aus statisch ist und sich nicht dynamisch anpassen kann. Daher ist es wichtig, alternative Formate und Lösungen zu entwickeln, um sicherzustellen, dass Informationen für alle zugänglich sind.
Was ist ein barrierefreies PDF und was muss es können?
Wenn ich von einem barrierefreien PDF spreche, dann meine ich ein zugängliches PDF. Denn 100-prozentige Barrierefreiheit gibt es nicht. Ein zugängliches PDF ist ein sogenanntes „Tagged PDF“. Durch das Tagging werden die Inhalte des PDFs so organisiert, dass sie für Menschen mit und ohne Einschränkungen gleichermaßen zugänglich sind und selbstständig erlangt werden können.
Stellen wir uns ein PDF-Dokument wie ein Buch vor. In einem normalen Buch haben wir Überschriften, Absätze, Listen und Bilder, die den Text veranschaulichen. Ein „Tagged PDF“ funktioniert ähnlich, aber anstelle von physischen Elementen verwendet es digitale „Tags“ oder Kennzeichnungen, um diese Teile des Dokuments zu organisieren. Die Tags sind wie Etiketten, die den Inhalt des PDFs beschreiben. Zum Beispiel sagt ein Tag „Überschrift“, dass der folgende Text eine Überschrift ist, während ein anderes Tag „Bild“ bedeutet, dass es sich um ein Bild handelt.
Diese semantischen Tags helfen Screenreadern und anderen Assistiven Technologien (AT), den Text und die Struktur des PDFs zu verstehen. Dank dieser Assistiven Hilfen kann sich jeder Mensch den Inhalt des Dokuments entsprechend seinen individuellen Bedürfnissen anzeigen lassen: als Braillezeile, per Vorlesefunktion, in einer anderen Schriftart, im Dunkelmodus etc.
Wie erzeuge ich ein barrierefreies “Tagged PDF”?
Um ein barrierefreies PDF zu erstellen, benötigt man ein Textverarbeitungsprogramm wie Microsoft Word ab Version 2019 – besser noch Office 365 – oder eine DTP-Anwendung wie Adobe InDesign. Während Microsoft Word bereits von Haus aus geeignete Formatvorlagen und eine PDF-Exportfunktion mitbringt, mit der sich einfache Dokumente als getaggte PDFs ausgeben lassen, bedarf es bei Layoutprogrammen wie Adobe InDesign ein bisschen mehr Datenvorbereitung. Hier müssen die Tags den Formaten manuell im Absatzformat zugeordnet werden, um ein barrierefreies PDF zu erstellen.
Im Folgenden habe ich einige der wichtigsten Anforderungen aufgelistet, die barrierefreie PDFs erfüllen müssen:
- Wenn du ein strukturiertes Dokument in einem Autorenprogramm wie Adobe InDesign oder Microsoft Word erstellst, verwende unbedingt Überschriften, Absätze, Listen und andere Formatierungselemente mit echten Textfunktionen. Damit legst du die Hierarchie und die korrekte Lesereihenfolge deiner Inhalte fest.
- Definiere die Sprache des gesamten Dokuments; deklariere auch fremdsprachige Textstellen. Bei Lehnwörtern, die im Duden stehen, ist dies nicht erforderlich.
- Stelle alternative Texte für Bilder bereit: Alternativtexte beschreiben, was auf dem Bild zu sehen ist. Dies ist besonders wichtig für blinde Nutzer, die Bilder nicht sehen können.
- Berücksichtige in deiner Gestaltung den Kontrast: Achte auf ausreichenden Kontrast zwischen Text und Hintergrund, um die Lesbarkeit zu verbessern. Dies ist besonders wichtig für Menschen mit Seheinschränkungen.
- Bereite Navigationshilfen vor: Füge ein Inhaltsverzeichnis und Lesezeichen hinzu, um die Navigation im Dokument zu erleichtern. Dies ist für alle hilfreich.
- Achte darauf, dass deine Schriftarten richtig codiert sind. Stichwort: Unicode.
- Gib dem Dokument einen aussagekräftigen Titel, trage die Autoren und andere Metadaten in das Dokument ein. Metadaten dienen der Auffindbarkeit im Netz und sind gut für SEO.
- Alle Links müssen über die Tastatur (durch Tabben) erreichbar sein.
- Lass dir von Barrierefreiheitswerkzeuge helfen: Viele Programme verfügen schon über eigene Prüftools. Lerne sie kennen und nutze sie.
- Darüber hinaus gibt es Add-ons oder Plugins, die sich in Autorenprogramme integrieren. Diese zusätzlichen Werkzeuge helfen dir, barrierefreie Dokumente einfacher zu erstellen und Probleme zu erkennen, bevor du dein Dokument finalisierst. Eine Liste mit nützlichen Tool-Tipps findest du am Ende meines Beitrages.
Alles hängt von der Qualität deines Dokuments ab. Entscheidend ist, dass du es richtig baust und alle barrierefreien Funktionen direkt in dein Dokument integrierst, damit die semantische Tagging-Struktur korrekt in das PDF übersetzt wird. So vermeidest du nachträgliche Anpassungen in Adobe Acrobat DC. Denn jede Änderung im Originaldokument erfordert erneute Anpassungen im PDF, was zeitaufwändig und nicht nachhaltig ist.
Grüner Haken: Der PAC-Check als Gütesiegel für Barrierefreiheit
Die meisten Kunden, mit denen ich zusammenarbeite, beauftragen mich mit der rein technischen Umsetzung der Barrierefreiheit. Was bedeutet das genau? Die Kunden schicken mir ihre Ausgangsdokumente in Word oder InDesign. Diese prüfe ich mit verschiedenen technischen Prüfwerkzeugen auf Fehler und korrigiere sie im Ausgangsdokument. Im Briefing findet sich die Anweisung, dass ein barrierefreies PDF/UA (Universal Accessibility) erstellt werden soll. Am Ende soll das PDF die technische Prüfung durch den PAC 2021 (PDF Accessibility Checker) bestehen und den „grünen Haken“ erhalten. Das barrierefreie PDF wird zusammen mit dem PAC-Prüfbericht geliefert. Dieser Bericht gibt den Auftraggebern eine gewisse Sicherheit, dass zumindest die technische Barrierefreiheit des PDFs gewährleistet ist und dient als eine Art Garantie.
Allerdings ist Vorsicht geboten, denn der PAC-Check allein kann nicht als umfassender Nachweis für die Barrierefreiheit von Dokumenten dienen. Er konzentriert sich hauptsächlich auf technische Aspekte und Fehlerbehebung, während inhaltliche Schwächen und die tatsächliche Benutzerfreundlichkeit nicht berücksichtigt werden. Es ist daher unerlässlich, dass bei der Erstellung barrierefreier Dokumente auch die menschliche Expertise und Benutzererfahrung einbezogen werden. Eine ganzheitliche Herangehensweise, die technische Prüfung, manuelle Überprüfung und Benutzertests kombiniert, ist der Schlüssel zur tatsächlichen Barrierefreiheit und zur Gewährleistung, dass alle Nutzer die Inhalte gleichermaßen zugänglich nutzen können.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass barrierefreie PDFs in der digitalen Welt einen echten Unterschied machen. Sie sind nicht nur ein Segen für Menschen mit Einschränkungen, sondern erleichtern uns allen das Leben. Denn digitale Barrierefreiheit braucht jeder von uns – der eine früher, die andere später.
Brauchst du Hilfe bei der Erstellung barrierefreier Dokumente oder einfach ein paar Tipps zur Optimierung deiner Dateien? Dann melde dich. Ich biete dir technische und redaktionelle Unterstützung.
Zum Beispiel schreibe ich verständliche UX-Mikrotexte, damit deine Dokumente niemanden mehr im Dunkeln lassen. Lass uns gemeinsam die digitale Welt für alle zugänglicher machen und gleichwertige Nutzererfahrungen schaffen!
Prüf-Tools, Plug-ins & Add-ons
Diese Tools identifizieren nicht nur potenzielle Probleme, sondern sparen dir eine Menge Zeit:
- axaio MadeToTag: – Ein Plug-in für Adobe InDesign, mit dem InDesign-Dokumente für den Export als getaggtes, barrierefreies PDF aufbereitet und exportiert werden können. Das getaggte PDF entspricht den Kriterien des PDF/UA-Standards. Eine kostenlose 30-Tage-Testversion ist verfügbar.
- axesWord – ist ein Analysetool, das Schwachstellen im Worddokument vor der Konvertierung analysiert und direkt aus Microsoft Word gesetzeskonforme barrierefreie PDF-Dokumente erstellt. Testversion erhältlich.
- PAC 2021 – Freier PDF-Accessibility-Checker. Das Prüftool, das PDFs auf technische Barrierefreiheit gemäß PDF/UA-Standard prüft und den grünen Haken verleiht. Es ersetzt nicht das manuelle Überprüfen von PDFs. Funktioniert leider nur unter Windows.
- pdfGoHTML – Kostenloses Prüftool, das sich in Adobe Acrobat DC integriert und getaggte PDFs in HTML umwandelt sowie spezielle Ansichten für Sehbehinderte und Legastheniker bietet.
- Colour Contrast Analyzer (CCA) – Kostenloser Farbkontrast-Checker von TPGi, der Ihre Inhalte (Text und visueller Elemente) für Menschen mit Farbenblindheit oder Sehbehinderung optimiert.